Die Schiedsrichterausbildung hat vonseiten Fussballverband Nordwestschweiz ein Facelifting erhalten. Das kommt nicht nur bei den alteingesessenen Schiedsrichtern gut an, sondern wirkt sich auch positiv auf die Rekrutierung aus. Der SFV hat sich das System aus dem Nordwesten zum Vorbild genommen.
War das Offside? Ist nach diesem Tackling eine gelbe Karte gerechtfertigt? Sind fünf Minuten Nachspielzeit angemessen?
Ob auf höchstem Niveau, wie auch in den untersten Ligen: Schiedsrichter und deren Assistenten müssen die ganze Spielzeit hindurch hellwach sein und eine Entscheidung um die andere treffen. Allzu oft muss der Schiri als Sündenbock herhalten – und kommt über 90 Minuten hinweg gehörig ins Schwitzen. Wer tut sich das an?
Auf nordwestschweizerischen Fussballplätzen in vergangener Zeit sehr viele, weiss Stephan Fässler. «Nach dem Update unserer Ausbildung läuft die Rekrutierung sehr erfolgreich. Vor allem auch viele jüngere Männer und Frauen entscheiden sich für das Schiedsrichteramt», sagt der Co-Präsident der Schiedsrichterkommission beim Fussballverband Nordwestschweiz (FVNWS).
Kein Sündenbock
Stephan Fässler hat sich Mitte der 1980er-Jahre als aktiver 3. Liga-Kicker beim FC Bubendorf dazu entschieden, die Ausbildung zum Spielleiter zu absolvieren. «Ich hatte als junger Spieler das Gefühl, ich könnte das besser, als jene Schiris, die bei uns in der 3. und 4. Liga pfiffen», erinnert er sich.
Am Talent fehlte es nicht: Fässler durchlief alle regionalen Stufen bis in die 1. Liga sowie als Assistent in der Challenge League. Als Referee im Beach Soccer pfiff er an drei Weltmeisterschaften und war als FIFA-Instruktor tätig. Neben seinem Amt beim Verband spielt er heute immer noch aktiv beim Ü50-Team des FC Lausen – inklusive Derbys gegen den FC Gelterkinden. All die Jahre hatte er als Schiedsrichter nie das Gefühl, als Sündenbock herhalten zu müssen. «Umstrittene Situationen gehören zum Spiel dazu. Ich wurde aber nie angegriffen und habe keine nachtragenden Situationen erlebt», so Fässler.
Digitale Wende
Bis vor zwei Jahren war die Schiedsrichterausbildung des FVNWS noch mit viel Administration, nicht unerheblichen Kosten und zahlreichen Terminen verbunden. Dieses System wurde grundlegend überarbeitet: Durch die umfassende Reform wurden viele Schritte digitalisiert, von der unkomplizierten Anmeldung, über die Aneignung der Theorie bis hin zu praktischen Übungen. Auf diese Weise entfallen zahlreiche zeitraubende Wochenkurse. Die Kommunikation läuft weitgehend via App, deren Qualität laufend optimiert wird.
«Nach der Pandemie sind viele aktive Schiris abgesprungen, und es herrschte Mangelware an Interessenten. Wir mussten reagieren», so Fässler. Nach einem harzigen Start trug die digitale Wende schnell Früchte: 200 neue Anmeldungen wurden über zwei Jahre hinweg verbucht. 140 neue Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter konnten in der Nordwestschweiz ausgebildet werden. «Es gibt viele Interessenten zwischen 16 und 18 Jahren. Aber auch erfahrenere Personen entscheiden sich für die Ausbildung. Jenseits der 50 ist das durchaus noch machbar, wenn man fit ist», so Fässler.
Stephan Fässler (rechts), Co-Präsident der Schiedsrichterkommission beim Fussballverband Nordwestschweiz
Ausbildung auf Hawaii
«Die Tätigkeit als Spielleiter fördert die Persönlichkeit. Je höher die Liga, desto mehr gewinnt man an Management-Qualitäten», wirbt Stephan Fässler. Zum Job gehöre, ohne Zögern Entscheidungen zu treffen und diese auch zu vertreten. Das wirkt sich positiv auf das Selbstvertrauen aus.
Chagith Visuvaratnam: Digitaler Schiri-Einstieg auf dem Laptop in den Ferien auf Hawaii: Chagith Visuvaratnam.
Das bestätigt Chagith Visuvaratnam, der dem FC Gelterkinden seit den F-Junioren verbunden ist: «Auf dem Weg zum Schiedsrichter bin ich von Spiel zu Spiel persönlich gewachsen. Das wirkt sich für meine zukünftige Tätigkeit als Primarlehrer ebenso positiv aus, wie sonst im Leben». Steht er heute vor einer Schulklasse, kann er immer wieder Gelerntes vom Fussballplatz einbringen.
Als 18-Jähriger interessierte er sich erstmals für das Schiedsrichter-Amt, scheute aber den zeitlichen und finanziellen Aufwand. «Vor zwei Jahren erreichte mich dann in den Ferien eine Anfrage vom Verband. Ich habe spontan zugesagt und die ganze Grundausbildung auf Hawaii vom Laptop aus unkompliziert absolviert», erinnert er sich. Mitte September 2022 absolvierte er die Prüfung inklusive Fitnesstest in Pratteln und pfiff kurz darauf Spiele bei den C-Junioren und amtete später auch als Linienrichter in der 2. Liga. «Ich spiele zwar nicht mehr aktiv Fussball, halte mich aber als Schiri körperlich und mental fit», so Chagith. Aufgrund seines Vollzeitstudiums und Nebenjobs hat er zurzeit eine Pause als Schiedsrichter eingelegt hat.
Schiedsrichter Chagith: Lernen fürs Leben: Ein Schiedsrichter muss schnell Entscheidungen treffen und diese vertreten.
Weniger Papier
Obwohl er schon lange als Schiedsrichter aktiv ist, kann auch Selahattin «Cici» Gecici der digitalen Wende des FVNWS viel Positives abgewinnen. «Wir bewerben uns heute auf einer Plattform für die Spiele, die wir pfeifen möchten. Auch wenn kurzfristig Notfälle zu beklagen sind, werden wir informiert», sagt der Vater von zwei aktiven FCG-Junioren. Für die Kontrolle der Spieler vor dem Match reicht heute das Smartphone – wo früher viel Papier notwendig war.
Nach einer langen aktiven Spielzeit in Muttenz, Aesch und im grenznahen Frankreich wurde «Cici» durch eine Verletzung am Knie- und Fussgelenk zurückgeworfen. Auch die wachsende Familie erforderte mehr Aufmerksamkeit und verschob die Prioritäten, so dass er neben den Fussballschuhen auch die Schiedsrichterpfeife an den Nagel hängte.
Als aber vor einigen Jahren beim Nachwuchs des FCG ein Notstand herrschte, entschied er sich, bei den E-Junioren als Coach mitzuwirken. Seit 2022 ist er auch als Schiedsrichter wieder aktiv, und pfiff aufgrund seiner Erfahrung schon in der 3. Liga – mit Ambitionen nach oben. «Meine grösste Motivation, Schiri zu sein, ist, dass ich trotz beendeter Fussballkarriere noch aktiv auf dem Platz stehen kann. Das Amt macht mir Spass, und das möchte ich auch die Jüngeren weitergeben», so «Cici».
Smartphone statt Papierkram: Selahattan «Cici» Gecici, Schiedsrichter und Vater von zwei FCG-Junioren
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Text: Simon Eglin